Biografie Rosa Kallohn
Rosa Kallohn, gesch. Kothe, geb. Wolff, geb. am 3.10.1874 in Altona, 1945 vor der Deportation versteckt, überlebt
Planckstraße 16 (Ottensen)
Hinter Rosa Kallohn, geschiedene Kothe, geborene Wolff, lag ein wechselvolles Leben: Sie war zweimal verheiratet, hatte insgesamt sieben Kinder geboren und die Verfolgung eines ihrer
Schwiegersöhne sowie eines Enkels erlebt, die im Widerstand gegen das NS-Regime tätig waren. Hinzu kam, dass Rosa Wolff Jüdin war. Sie und ihr zweiter Ehemann, der nichtjüdische Paul Emil
Kallohn, litten deshalb ebenfalls unter nationalsozialistischer Verfolgung, denn der protestantische Ehemann lehnte es trotz massiver Drohungen ab, sich von seiner jüdischen Ehefrau scheiden zu
lassen.
So blieb Rosa Kallohn, wie sie nun hieß, durch die "privilegierte Mischehe" vor der Deportation geschützt, bis das NS-Regime kurz vor Kriegsende auch für diese bisher Verschonten noch
Deportationsbefehle verschickte. So stand Rosa Kallohn auf der Liste derjenigen, die am 14. Februar 1945 von Hamburg aus in das Getto Theresienstadt "verschickt" werden sollten. Wie etliche
andere folgte sie dem Befehl jedoch nicht, sondern versteckte sich u.a. in einem Behelfsheim des damaligen Kleingartenvereins Bahnkoppel am Bornkampsweg in Bahrenfeld und überlebte die Zeit der
NS-Diktatur ebenso wie ihr Ehemann.
Sie war als Rosa Wolff am 3. Oktober 1874 in Altona, der damals noch selbstständigen Stadt an der Elbe, zur Welt gekommen. Ihre Eltern, der jüdische "Handelsmann" (Kaufmann) Jacob Wolff, genannt
Wulff (geboren am 21. September 1809 in Kiel) und seine ebenfalls jüdische Ehefrau Jette, geborene Höllenstein, lebten seit 1861 bzw. 1856 dort und hatten hier am 8. Juni 1876 geheiratet.
Rosa Wolff hatte eine jüngere Schwester Hannchen, geboren 1867, eine weitere Schwester war tot geboren worden. Aus Jacob Wolffs erster Ehe mit Henriette Wolff stammte ein älterer Halbbruder, Levi
Jacob, geboren am 15. August 1838 in Kiel.
Rosa besuchte mit Erfolg acht Jahre eine Volksschule in Altona. Danach war sie Fabrikarbeiterin in verschiedenen Betrieben bis zu ihrer ersten Heirat am 2. Juni 1896 mit dem protestantischen
Maurer Max Carl Kothe, geboren am 5. Februar 1873 in Altona. Mit ihm bekam sie in Altona fünf Kinder, die in den Geburtsregistern als evangelisch-lutherisch eingetragen wurden: Berthold, geboren
am 25. November 1894, Hannchen Minna Hermine, geboren am 15. September 1896, Hermann Willi Hugo, geboren 22. Oktober 1897, Auguste Minna Louise, geboren am 19. April 1899, Pauline, geboren am 16.
August 1903, gestorben am 17. Juli 1904, Martha Emma, geboren am 26. Juni 1905 und Karl August Kallohn, geb. am 16.10.1907.
Am 24. Februar 1906 wurde die Ehe geschieden. Ein gutes Jahr darauf, am 13. April 1907, heiratete Rosa ein zweites Mal. Ihr neuer Ehemann war der protestantische Kranführer Paul Emil Kallohn,
geboren am 22. September 1881 in Altona. Das erste Kind dieses Paares war noch während der Ehe mit Max Karl Kothe am 26. Juni 1905 in Altona geboren und später von Paul Emil Kallohn als sein Kind
anerkannt worden. Das zweite Kind, Karl August, kam am 16. Oktober 1907 ebenfalls in Altona zur Welt.
Auch nach der Scheidung hielten alle Familienmitglieder Kontakt mit einander. Max Carl Kothe habe sich mit Paul Emil Kallohn gut verstanden, erzählte Rosa Kallohn später. Fotos, auf denen alle
miteinander abgebildet sind, zeugen davon.
Von den Kindern Martha Emma und Karl August Kallohn wissen wir, dass sie evangelisch erzogen und konfirmiert wurden. Karl August Kallohn absolvierte eine Lehre als Schlosser. Er blieb ledig.
Martha Emma Kallohn heiratete 1922 den in Altona geborenen 19 Jahre alten Carl (auch: Karl) Jonny Hagen. Das Ehepaar bekam zwei Töchter, Thea Metta Rosa, geboren am 28. Oktober 1922, und Elfriede
Johanna Paula, geboren am 24. Juni 1929, beide geboren in Altona.
Mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 änderte sich das bis dahin in einigermaßen überschaubaren Bahnen verlaufene Leben von Rosa Kallohn und ihrer Familie.
Obwohl ihr nichtjüdischer Ehemann immer wieder gedrängt wurde, sich von seiner jüdischen Ehefrau scheiden zu lassen, hielt er unverbrüchlich zu ihr und nahm dafür schwere Belastungen auf sich.
1943/1944 mussten Paul Emil Kallohn, in der NS-Terminologie nun ein "jüdisch Versippter", der Sohn Karl August sowie Martha Emmas Töchter als "Mischlinge ersten Grades" Zwangsarbeiten leisten so
beispielsweise Trümmer räumen.
Auch der nichtjüdische Ehemann von Rosas Tochter Martha Emma, Karl Jonny Hagen, hielt fest zu seiner nach nationalsozialistischen Kategorien "halbjüdischen" Ehefrau. Er gehörte der KPD an und
leistete mit seinen Genossen Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur. Am 11. Juli 1935 wurde er verhaftet, in der Hamburger Gestapo-Zentrale im Stadthaus sowie im Konzentrationslager
Fuhlsbüttel ("KoLaFu") gefoltert und schließlich am 5. Mai 1936 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt.
Er verbüßte die Haft in den Emslandlagern, wohin ihm auch das Scheidungsurteil zugestellt wurde. Seine Frau hatte diese eingereicht, sie stand kurz vor der Geburt eines Kindes von einem anderen
Mann.
Nach Jahren in den Emslandlagern wurde Karl Jonny Hagen 1940 in Hamburg freigelassen. Den bisher "Wehrunwürdigen" zog die Militärverwaltung Anfang 1943 zum Kriegsdienst im "Bewährungsbataillon
999" ein. Er galt seit Ende 1944 als verschollen und wurde für tot erklärt. Zur Erinnerung an Karl Jonny Hagen liegt in der Steintwiete/Ecke Deichstraße ein Stolperstein (siehe
www.stolpersteine-hamburg.de).
Als Martha Emma Hagen und der Vater ihres Kindes Karl-Heinz Andreas, Walter Hermann Theodor Sierau, heiraten wollten, erhielten sie keine staatliche Erlaubnis: "Mischlinge ersten Grades" wie
Martha Emma Hagen benötigten jedoch eine solche zur Eheschließung. Sie wurde ihnen – wie auch anderen Paaren in ihrer Situation – mit der Begründung verwehrt, die "Reinhaltung der Rasse" solle
nicht gefährdet werden. Martha Emma Hagen drohte, sollte sie die Beziehung aufrechterhalten, die Einweisung in ein Konzentrationslager. Walter Sierau wurde 1943 zum Kriegsdienst eingezogen und
galt später als verschollen.
Die Verfolgung ihrer Angehörigen belastete Rosa Kallohn zusätzlich zu den Ängsten um ihr eigenes Schicksal. Sie wurde regelmäßig in die Gestapo-Zentrale im Stadthaus vorgeladen. Als sie einmal
fürchtete, dort festgenommen und direkt deportiert zu werden, nahm an ihrer Stelle ihre Tochter Martha Emma Hagen einen Termin wahr. Deren Tochter, Thea Metta Rosa, berichtete später, dass ihre
Mutter dort Schreckliches erlebt haben müsse, denn sie sei traumatisiert zurückgekehrt.
Rosa Kallohns Name stand – wie oben erwähnt – auf der Deportationsliste für den Transport am 15. Februar 1945 nach Theresienstadt. Doch wie etliche andere Betroffene wagte sie es nun, kurz vor
Kriegsende, den Deportationsbefehl zu ignorieren und tauchte unter. Dabei half ihr die weitverzweigte Familie, so dass Rosa Kallohn ebenso wie ihr Ehemann die Zeit der nationalsozialistischen
Diktatur überlebte.
Paul Emil Kallohn starb am 27. November 1950, Rosa Kallohn am 4. November 1963 in ihrer Wohnung in der Planckstraße 16 in Altona, in der sie Jahrzehnte gelebt hatte.
Rosa Kallohns Tochter Martha Emma Hagen erhielt als Frau eines NS-Gegners und "Mischling ersten Grades" immer wieder Kündigungen für ihre Unterkünfte, bis sie endlich eine Bleibe bei Karl Jonny
Hagen Schwager fand. Wie erwähnt, ging sie mit dem geschiedenen nichtjüdischen Walter Hermann Theodor Sierau, geboren am 17. Januar 1901 in Altona, eine neue Beziehung ein, aus der am 25. Februar
1939 der Sohn Karl-Heinz Andreas hervorging. Dieser konnte wegen der verweigerten Ehegenehmigung erst nach dem Krieg als ehelich anerkannt werden und erhielt dann den Nachnamen Sierau. Sein Vater
war inzwischen für tot erklärt worden. Aber eines der frühen Wiedergutmachungsgesetze erlaubte es Frauen, die wie Martha Emma Hagen aus "rassischen Gründen" nicht hatten heiraten dürfen, die
Verbindung nachträglich zu legalisieren. Dies wurde am 18. April 1946 mit Wirkung vom 7. Januar 1945 bewilligt. Aufgrund eines Kontrollratsgesetzes wurde die Eheschließung zwar für ungültig
erklärt, doch durften sie und ihr Sohn Karl-Heinz Andreas den Familiennamen Sierau behalten.
Stand: Dezember 2022
© Bärbel Klein (Urenkelin)
Quellen: StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen 3227 Friedrich Gustaf Kallohn; StaH 332-4 Aufsicht über die Standesämter 1833-1876 – Personenstandswesen (1866-1946) – Eheschließungen 552 Walter Hermann Theodor Sierau; StaH 332-5 Geburtsregister 6182 Nr. 17/1874 Rosa Kallohn, 6285 Nr. 3532/1894 Berthold Heinrich Louis Wolff/Kothe, 6295 Nr. 2733/1896 Hanchen Minna Hermine Kothe, 9140 Nr. 2370/1897 Hermann Willy Hugo Kothe, 13003 Nr. 1143/1899 Auguste Minna Louis Kothe, 13677 Nr. 1708/1901 Walter Hermann Theodor Sierau, 13879 Nr. 2002/1902 Karl Jonny Hagen, 13981 Nr. 2159/1903 Pauline Kothe, 14579 Nr. 1543/1905 Martha Emma Kallohn, 14893 Nr. 2553/1907 Karl August Kallohn, Heiratsregister 3126 Nr. 112/1909 Eduard Georg Emil Denker/Hannchen Kuncke, 5863 Nr. 425/1876 Jacob Wolff/Wilhelmine Jette Höllenstein, 5922 Nr. 262/1892 John Heinrich Kuncke/Hannchen Wolff, 5937 Nr. 555/1896 Rosa Wolff/ Max Carl Kothe, 5973 Nr. 360/1907 Paul Emil Kallohn/ Rosa Kothe, 6066 Nr. 579/1922 Jonny Hagen/Martha Kallohn, Sterberegister 849 Nr. 197/1922 Eduard Georg Emil Denker, 855 Nr. 298/1922 Max Carl Kothe, 4288 Nr. 157/1966 Hermann Willy Hugo Kothe, 5087 Nr. 478/1933 Berthold Heinrich Louis Kothe, 5093 Nr. 549/1936 Auguste Minna Louis Aschberg, 5231 Nr. 1784/1896 Hanchen Minna Hermine Kothe, 5257 Nr. 1308/1904 Paulina Kothe, 1067 Nr. 1638/1937 Hannchen Denker, 5210 Nr. 168/1891 Jacob Wolff, 5221 Nr. 947/1893 Wilhelmine Jette Wolff, 5451 Nr. 627/1950 Paul Emil Kallohn, 5497 Nr. 2209/1963 Rosa Kallohn, 14595 Nr. 185/1985 Karl Kallohn; 351-11 Amt f. Wiedergutmachung 2337 Rosa Kallohn, 30319 Martha Emma Sierau; 522-01 Jüdische Gemeinden 0160 – Verzeichnis d. israelitischen Einwohner, 1081 Grabbuch Bornkampsweg; 741-4 Fotoarchiv K 2315 Deichstraße; K 2391 Siemensstraße, K 2394 und K 2380 Völckerstraße, K 2395 Kleingartenverein Bornkamp Bahnkoppel, K 7316 Kallohn, K 7324 Kothe, K 4465 Kallohn, K 4711 Hagen, K 4751, K 5212 Kallohn, K 7413 Wolff; Todeserklärung Walter Hermann Theodor Sierau Nr. 51502 vom 21.02.1951 Berlin-Wilmersdorf, Todeserklärung Karl Jonny Hagen Nr. 8866 vom 02.06.1949 54 II 939/49 Berlin; Bundesarchiv Berlin R 3018 / 5521 und 3018/6820 Karl Jonny Hagen, Bundesarchiv Berlin PST 3 / 30 Bl. 123 Karl Jonny Hagen; Niedersächsisches Landesarchiv Abt. Osnabrück Haftnachweis Esterwegen VII, Rep. 947 Lin I Nr. 439 Karl Jonny Hagen, Mail vom 22.06.2012 Dr. Nicolas Rügge; ITS Archives Bad Arolsen Digital Archive 3.1.1.3 [78790820] Mail vom 15.03.2016 Herr Braisz; www.ancestry.de (Zugriff 15.03.2016).